Die freie Zeit des Kollektivs






















Die Etablierung von freier Zeit, von Freizeit, ist, in Abgrenzung zur Arbeitszeit, eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. Ein Großteil heutiger Freizeitkultur definiert sich über Events, Festivals oder frei zugänglichen Veranstaltungen im öffentlichen Raum. Deutlicher als in allen anderen Lebensbereichen zeigen sich hier unterschiedlichste Merkmale und Verhaltensweisen einzelner gesellschaftlicher Gruppen – eine Thematik, die die Künstlerin Birgit Schweiger in ihren Arbeiten immer wieder aufgreift.
Erwartet man jedoch spektakuläre Abbildungen über die Veranstaltungen an sich, paparazzihafte Darstellungen von Prominenten oder lokaler „Adabei-Gesellschaft”, so wird man enttäuscht. Es sind die unspektakulären, unaufgeregten Momente, in denen sich der Einzelne als unbeobachteter Teil einer Gruppe erfhrt, die die Künstlerin faszinieren. Meist mit Fotoapparat, Aquarellkasten und Zeichenblock ausgestattet, dokumentiert sie diese Nebenschauplätze. Laut Selbstaussage “bedient” sich die Künstlerin der Menschen, die irgendwo sitzen oder stehen und – völlig unbeeindruckt von ihrem Umfeld – versunken sind in ihrer eigenen Welt. Dieses Foto- und Skizzenmaterial, das dann im Atelier gesichtet wird, ist Basis für Schweigers Bild-Inspirationen.Teils übernimmt sie Motive eins zu eins in ihre Bilder, teils löst sie – je nach Intention und Inspiration – einzelne Figuren aus Aufnahmen heraus, fügt sie an anderer Stelle ein und schafft so ihren eigene Blick auf die Welt. Das Augenmerk bleibt aber immer auf der Dokumentation der Geschehnisse abseits des Spektakulären. Intention ist, soziale Codes der Spaßgesellschaft aufzuspüren. Es entstehen Bilder, die in unaufdringlicher Weise Beziehungsgeflechte offenlegen. Nicht um das Propagieren eines bestimmten sozialen Wertekanons oder um das Zitieren von Stereotypen geht es, sondern um die nonverbale Kommunikation zwischen Dargestellten und deren Stimmungen sowie dem Sichtbarmachen der momentanen Atmosphäre.
Die Farbigkeit spielt in den Arbeiten von Birgit Schweiger eine besondere Rolle. Die Künstlerin hat im Lauf der Jahre nicht nur zu einem eigenen Malstil gefunden, sie versteht es, durch kräftige, akkurat gesetzte Pinselstriche und einer fast impressionistisch anmutenden Farbpalette surreale Wirklichkeiten zu schaffen. Darüber hinaus entstehen aufgrund vermehrten farblichen Negierens des Hintergrundes und kraftvoller Farbsetzungen im Vordergrund bühnenhafte Szenerien, die die scheinbar friedvollen Darstellungen müßiger Kollektive deutlich veranschaulichen, sie gleichzeitig aber auch mit einem Gefühl von Einsamkeit und Distanziertheit versehen. Mit der gleichzeitigen formalen Reduzierung des Motives auf wesentliche malerische Farbflächen wirken die dargestellten Szenen für den Betrachter zwar vertraut, die Protagonisten durch die kaum näher definierten Gesichtszüge aber fremd und anonym. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die Wahl ungewöhnlicher Perspektiven, ausschnitthafter Einblicke und besonders der Verwendung ein oder mehrerer Rückenfiguren, in die der Beobachter schlüpfen und zu einem Teil dieses anonymisierten Kollektivs werden kann. Die Künstlerin schafft mit dieser eigenen malerischen Formulierung eine vertraute Anonymität, die fasziniert.
Birgit Schweigers Oeuvre charakterisiert sie als aufmerksame, sensible Beobachterin ihres unmittelbaren Umfelds, als eine, die wie ein Seismograph fotografisch oder skizzierend einzelne Szenen und Augenblicke aufnimmt und als Stimmungsbilder ihrer Zeit dokumentiert. Im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung steht immer der Mensch als Teil des Kollektivs mit seinen Riten und Verhaltensweisen. (Silvia Müllegger, Jan, 2015)
© Mag. Silvia Müllegger